Venedig Biennale 2022

The Milk of Dreams

Text + Fotos: Marianne Kapfer und Julia Kapfer

Katharina Fritsch, Elefant / Elephant. 1987, Polyester, Holz, Farbe, 420 x 160 x 380 cm
Zentraler Pavillon, Giardini. Internationale Ausstellung „The Milk of Dreams“,
Photo©Julia Kapfer

213 Künstlerinnen und Künstler aus 58 Ländern , 80 nationale Pavillons, 31 zusätzliche Kunst-Events sind auf der 59. Biennale di Venezia vom 13. April bis zum 27. November 2022 in Venedig zu erleben. Die Ausstellung findet im zentralen Pavillon der Giardini, in den Corderie, den Artiglierie und den Außenbereichen des Gaggiandre und des Giardino delle Vergini des Arsenale-Komplexes statt.

Durch die Pandemie war die Eröffnung der Biennale um ein Jahr verschoben worden und die Kuratorin Cecilia Alemani konnte viele der Künstler*innen nicht persönlich treffen: „Während dieser endlosen Monate vor dem Bildschirm habe ich über die Frage nachgedacht, welche Rolle die internationale Kunstausstellung an diesem historischen Wendepunkt spielen sollte, und die einfachste und aufrichtigste Antwort, die ich finden konnte, ist, dass die Biennale all die Dinge zusammenfasst, die wir in den letzten zwei Jahren so schmerzlich vermisst haben: die Freiheit, Menschen aus aller Welt zu treffen, die Möglichkeit zu reisen, die Freude, Zeit miteinander zu verbringen, die Praxis der Differenz, der Übersetzung, des Unverständnisses und der Gemeinschaft.

Biennale 2022, Arsenale, Photo©Julia Kapfer

Cecilia Alemani erklärt die Wahl des Titels „The Milk of Dreams“ für die Internationale Kunst Ausstellung: „Er stammt aus einem Buch von Leonora Carrington (1917-2011), in dem die surrealistische Künstlerin eine magische Welt beschreibt, in der das Leben durch das Prisma der Fantasie immer wieder neu gesehen wird. Es ist eine Welt, in der sich jeder verändern, verwandeln, zu etwas oder jemand anderem werden kann; eine Welt, die frei ist und voller Möglichkeiten steckt. Sie ist aber auch die Allegorie eines Jahrhunderts, das einen unerträglichen Druck auf die Definition des Selbst ausübte und Carrington in ein Leben im Exil zwang: Eingesperrt in psychiatrischen Kliniken, ein ewiges Objekt der Faszination und der Begierde, aber auch eine Figur von verblüffender Kraft und Mysterium, immer auf der Flucht vor den Zwängen einer festen, kohärenten Identität. Auf die Frage nach ihrer Geburt antwortete Carrington, sie sei das Produkt der Begegnung ihrer Mutter mit einer Maschine, was auf die gleiche bizarre Verbindung von Mensch, Tier und Mechanik hindeutet, die einen Großteil ihres Werks kennzeichnet.“

Roberto Cicutto, Präsident von La Biennale di Venezia und die Kuratorin Cecilia Alemani bei der Eröffnungs-Pressekonferenz im Arsenale, Photo©Marianne Kapfer

Im Gegensatz zu der Biennale von 2019, wo der der amerikanische Kurator Ralph Rugoff überwiegend auf bekannte Großkünstler und klingende Namen setzte, kann man bei der der Milk of Dreams viel entdecken. So waren mehr als 180 Ausstellende von den über zweihundert beteiligten Künstler und Künstlerinnen bisher noch nie auf der Internationalen Kunstausstellung vertreten. Cecila Alemani: „Zum ersten Mal in ihrer 127-jährigen Geschichte sind auf der Biennale mehrheitlich Frauen und geschlechtsuntypische Künstler vertreten – eine Entscheidung, die eine internationale Kunstszene voller kreativer Dynamik und ein bewusstes Überdenken der zentralen Rolle des Mannes in der Geschichte der Kunst und der zeitgenössischen Kultur widerspiegelt.“

Simone Leigh (* 1967 Chicago, USA. Lebt in New York City, USA.)
Brick House. 2019, Bronze, Photo©Julia Kapfer

Zeit-Kapsel I – Die Wiege der Hexen

Die Ausstellung zeigt zeitgenössische Werke und neue, speziell für die Biennale Arte konzipierte Projekte, die im Dialog mit historischen Werken ab dem 19. Jahrhundert präsentiert werden. Dreh- und Angelpunkt der „Milch der Träume“ ist eine Galerie auf der unteren Ebene des Zentralpavillons, in der die erste der fünf Kapseln eine Sammlung von Kunstwerken von Künstlerinnen der historischen Avantgardebewegungen zeigt. So finden sich in der Zeitkapsel I in der „Wiege der Hexen“ (The Witch`s Cradle) im Zentralen Pavillon in den Giardini Werke der Fotografin Gertrud Arndt aus den 30igern, der Tänzerin Josephine Baker, der surrealistischen belgischen Malerin Jane Graverol, der algerischen Avantgarde-Malerin Baya Mahieddine und vielen anderen Künstlerinnen wie Eileen Agar, Benedetta, Claude Cahun, Leonora Carrington, Ithell Colquhoun, Valentine de Saint-Point, Lise Deharme, Maya Deren, Leonor Fini, Florence Henri, Loïs Mailou Jones, Ida Kar, Antoinette Lubaki, Nadja, Amy Nimr, Meret Oppenheim, Valentine Penrose, Rachilde, Alice Rahon, Carol Rama, Edith Rimmington, Enif Robert, Rosa Rosà, Augusta Savage, Dorothea Tanning, Toyen, Remedios Varo, Meta Vaux Warrick Fuller, Laura Wheeler Waring, Mary Wigman. Die Werke dieser und anderer emanzipierten Avantgarde-Künstlerinnen des frühen 20. Jahrhunderts werden in einem von surrealistischen Ausstellungen inspirierten Ensemble gezeigt.

The Witch´’s Cradle, Zentraler Pavillon, Giardini, Photo©Julia Kapfer

„The Milk of Dreams ist keine Ausstellung über die Pandemie, aber sie registriert unweigerlich die Umwälzungen unserer Zeit. Wie die Geschichte der Biennale di Venezia zeigt, können uns Kunst und Künstler in Zeiten wie diesen helfen, uns neue Formen des Zusammenlebens und unendlich viele neue Möglichkeiten der Veränderung vorzustellen.“ (Cecilia Alemani)

Bronwyn Katz * 1993 Kimberley, South Africa: Gõegõe, 2022.
Installation. Gefundene Bettfedern, Draht, Topfsicherungen, Reste von Salz und Rost.
Photo©Julia Kapfer
Mrinalini Mukherjee (1949 Bombay -heute Mumbai-, Indien – 2015 Neu-Delhi, Indien). Photo©Julia Kapfer
Andra Ursuţa (* 1979 Salonta, Rumänien. Lebt in New York City, USA)
Photo©Julia Kapfer